Der Helm ist festgeschnallt und während das Adrenalin bereits den Puls hochtreibt, streife ich noch die Handschuhe über. Dann geht’s auch schon los, ich spüre den Fahrtwind, die Räder beschleunigen aus dem Stand auf 60, 70, 80 km/h ... Die Zeit scheint stillzustehen, während meine Sinne die Eindrücke der vorbeifliegenden Landschaft registrieren. Nach schier endlos scheinenden Sekunden kommt die Felswand immer näher. Jetzt heißt es rasch reagieren. Also ziehe ich den Bremshebel und gehe kräftig in die Eisen – bis mich der Instruktor freundlich begrüßt: „Yep. Well done!“
Die Eisen, das sind faustdicke Stahlseile, auf denen sechs kleine Profilräder laufen. Daran befestigt ein Gurtsystem, in das die Teilnehmer unserer kleinen Gruppe nacheinander eingeklinkt wurden. Hinter uns liegt die steilabfallende Schlucht von Omiš, der Cetina Canyon, den wir gerade in 100 Metern Höhe in einem Drahtseilakt überquert haben. Der Ganze nennt sich Zip-Lining und entwickelt sich nach der ersten von sechs rasanten „Lines“ zu einem dreistündigen Abenteuerspaß mit Suchtpotenzial. Es ist mal eine ganz andere Art der Fortbewegung als auf unseren erdgebundenen, benzingetriebenen Zweirädern, die uns in diese grandiose Landschaft geführt haben: Wir sind mitten drin, in der Kroatien-Rallye 2017, haben heute unseren „freien Tag“. Und während sich die meisten Reiseteilnehmer zu einer Ausfahrt zu den Brückenspringern von Mostar aufgemacht haben, die sich im Freiflug 19 Meter in den Fluß Neretva stürzen, wollten wir der Schwerkraft per Zip-Lining ein Schnäppchen schlagen. Doch der Reihe nach.
Die große Reiseenduro lässt sich willig dirigieren
Start- und Sammelpunkt der Kroatien-Rallye 2017, die Veranstalterin Lixi Laufer schon seit 17 Jahren und nun seit neuestem mit ihrem Netzwerk „Kroatien Experten“ organisiert, ist das Küstenstädtchen Umag im Norden Istriens, knapp 50 Kilometer vom italienischen Triest entfernt. Vom südlicheren Deutschland aus wäre Umag in einer strammen, größtenteils autobahngebundenen Tagesetappe zu machen gewesen. Doch zum einen ist natürlich auch bei dieser Tour bereits der Weg, sprich die Anreise, das Ziel. Zum anderen bin ich testweise mit der neuen BMW R 1200 GS unterwegs – und dachte, wir sollten uns zunächst etwas aneinander gewöhnen. Was sich als unnötig herausstellt, denn vor der großen BMW Reiseenduro muss man keinerlei Berührungsängste haben: Willig lassen sich die mit Fahrer und Gepäck aufaddierten 360 Kilogramm Lebendgewicht über mehr und minder gut (aus)gebaute Straßen dirigieren. Der Boxer-Wumms ist in allen Schaltstufen präsent und verteilt sich mit hoher Elastizität über ein breites Drehzahlband. Das Fahrwerk liegt beim Rausbeschleunigen aus den Kurvenradien souverän auf dem Asphalt. Ohne groß die Finessen aus der GS rausgekitzelt zu haben, sind wir nach diversen österreichischen österreichischen Berg- und Talfahrten am Faaker See hinter Villach bereits „ziemlich beste Freunde“. (...)
Am nächsten Morgen geht es von Kranjska Gora bei strahlendem Sonnenschein und in frischer Bergluft weiter in den Naravni/Triglav Nationalpark. Zwar hatte mich am Abend zuvor der Kellner noch gewarnt, dass die Passstraße wegen dringender Bauarbeiten immer wieder mal gesperrt sei. Doch schließlich sitze ich auf einer Enduro und ignoriere ich die mir gelegentlich entgegenkommenden, lichthupenden und händefuchtelnden Autofahrer auf der engen Serpentinenstraße – bis vor mir ein respektabler Bagger auftaucht, der gerade die Ladefläche eines ebenso respektablen Lkw füttert. Er beißt vorne auf dem Steilstück den brüchigen Asphalt weg, während die „Streetworker“ dahinter der neuen Teerschicht den Boden bereiten: auf 30 Metern ist die Fahrbahn um etwa 50 Zentimeter abgesenkt, der Belag besteht aus Walderde und losem Schotter.
Doch scheinen die Männer vom slowenischen Tiefbau Vertrauen in den deutschen Motorradbau zu haben. Der Reißzahn des Baggers wird gestoppt und ich werde durchgewunken. Geht auch alles ganz gut – bis ich auf der anderen Seite die Hürde zurück auf den alten Belag nicht ganz schaffe. Vermutlich mit zu viel Respekt und zu wenig Schwung angefahren. Das Hinterrad dreht durch und gräbt sich ein. Ich stehe bergwärts, das Muli will nicht weiter. Meine neuen Freunde kommen mit Eimern zu Hilfe, doch der vors Hinterrad gestreute Schotter bringt mich auch nicht weiter. Dann die Eingebung. Ich hebe den Zeigefinger, tippe erst an den Helm und dann auf den Schalter für Fahrwerksmodi. Denn BMW hat dieser GS außer ihrem „Exclusive“-Outfit noch allerhand praktische Zusatzpakete mitgegeben, unter anderem die elektronische Fahrwerksregelung Dynamik ESA. Dabei ist der Modus „Enduro“ ja gerade auf das Befahren loser Untergründe mit Straßenbereifung getrimmt: Die Traktionskontrolle greift später ein, das Schlupfniveau wird merklich erhöht – und wupp sind wir wieder auf der Straße. Die Bauarbeiter zeigen mir lachend „Daumen hoch“ und ich winke zum Abschied. „Danke, Jungs!“ (...)